Der plötzliche Ausbruch von Covid-19 hat zahlreiche Mitarbeiter in die Home-Offices katapultiert – und damit die Digitalisierung der Arbeitswelt an die Spitze der Agenda vieler Unternehmen. Wie sich dieser plötzliche Wandel gestalten lässt und was er für die Zukunft von Organisationen bedeutet, erklärt Josef Papousek, CEO der Mercer (Austria) GmbH, im Interview. 

Josef Papousek
CEO, Mercer (Austria) GmbH

Durch die Coronakrise sind sehr viele Menschen von einem Wandel der Arbeitssituation betroffen. Wie sieht dieser Wandel aus?

Die neue Arbeitssituation bringt vielfältige Herausforderungen mit sich. Persönliche Arbeitsweisen und die Arbeitsweisen in Teams verändern sich beziehungsweise müssen sich verändern. Und das von Heute auf Morgen. Diese Situation stellt Mitarbeiter und Führungskräfte vor Probleme, die jetzt sehr schnell gelöst werden müssen.
Ein Beispiel: Führungskräften, die es gewohnt waren, ihre Mitarbeiter persönlich und vor Ort zu führen, mangelt es jetzt oft an Methoden, um auch auf Distanz ein Team zu steuern. Hier zeigt sich neben fehlender technischer Möglichkeiten vor allem auch der Nachteil veralteter Einstellungen und Grundsätze zu Führung an sich.

Wird dieser Wandel nachhaltig sein?

Der Wandel wird zu grundlegenden Veränderungen der Arbeitsweisen führen. Unternehmen werden erkennen, dass viele Meetings auch per Videoschaltung erledigt werden können, während Mitarbeiter vor der Krise für ein zweistündiges Meeting nach London geflogen sind.
Wir rechnen mit einer Erhöhung des Anteils von virtueller Arbeit auf 20-30 Prozent, insbesondere in Projekten. Diese Ortsunabhängigkeit kann Unternehmen natürlich auch für Bewerber interessanter machen, insbesondere für Zielgruppen, die von allen Unternehmen gesucht werden, weil sie die Digitalisierung vorantreiben können.

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf diesen Wandel?

Die Unternehmen, die bereits jetzt in Digitalisierung investiert haben, profitieren von der Ortsunabhängigkeit des Arbeitens. Mitarbeiter müssen nicht zwangsläufig an einem Standort arbeiten, um arbeitsfähig zu sein und alle Informationen zur Verfügung zu haben. Zudem steht die technische Infrastruktur bereit.
Digitalisierung bewirkt in Unternehmen zudem einen Kulturwandel, der jetzt als Vorteil ausgespielt werden kann, wenn es um Zusammenarbeit über Distanz geht. Das heißt: Unternehmen, die hinsichtlich der Digitalisierung gut aufgestellt sind, hatten damit bereits vor der Krise alle notwendigen technischen Arbeitsmittel und gleichzeitig im Idealfall die richtige kulturelle Ausrichtung, um jetzt stark virtualisiert zu arbeiten. Unternehmen, die diese Voraussetzungen nicht haben, müssen diesen Vorsprung nun schnell aufholen.

Wie würde dieser Wandel aussehen, wenn unsere Welt nicht so gut vernetzt wäre?

Wie das aussieht, kann man bei eben jenen Unternehmen sehen, die das Thema Digitalisierung bisher vernachlässigt haben. Oft ist hier nicht fehlende Vernetzung ein Problem, sondern es geht um „handfestere“ Probleme. Um ein paar Beispiele zu nennen: Mitarbeitern fehlt es an persönlichen Arbeitsmitteln, zum Beispiel Laptop und Firmenhandy. Führungskräften fehlt es an Steuerungs- und Informationsplattformen – sie fliegen im „Blindflug“. Teams fehlt es an Möglichkeiten, die „Arbeit vor Ort“ in einen virtuellen Arbeitsraum zu übertragen.
Insgesamt funktionieren solche Unternehmen daher momentan nur eingeschränkt beziehungsweise müssen schnell versuchen aufzuholen. Dies kann mit etwas Unterstützung auch durchaus gelingen und Vernetzung ist ein wichtiger Teil davon.

 

Haben Sie Erfahrungen damit, wie es den Unternehmen mit dem Home-Office-Betrieb geht und wie viele darauf setzen?

In zahlreichen Unternehmen war Home-Office bereits Teil eines modernen Benefits-Pakets, auf welches Mitarbeiter zurückgreifen konnten. Das dies jetzt aber in einem extremen Ausmaß passieren muss, ist für viele neu und durchaus gewöhnungsbedürftig. Die Probleme reichen dabei von technischen bis zu kulturellen Themen: Es mangelt einerseits an IT-Ausstattung und Bandbreite, andererseits müssen der Umgang mit virtuellem Arbeiten und die Zusammenarbeit im Team erst geübt werden. Insgesamt erleben wir jedoch eine positive Einstellung bei den Unternehmen: Die Situation ist nicht zu ändern, daher machen alle das Beste daraus. 

Aufgrund der Dynamik der Situation gibt es kaum belastbare Zahlen, es ist jedoch eindeutig zu sehen, dass alle Mittel ergriffen werden, um das Unternehmen arbeitsfähig zu halten und gleichzeitig die Mitarbeiter zu schützen. 

Was sagen die ArbeitnehmerInnen? Finden sie Home-Office gut oder freuen sich die meisten auf eine Rückkehr ins Büro?

Selbst in Unternehmen, in denen die MitarbeiterInnen an überwiegend ortsunabhängiges und virtuelles Arbeiten gewöhnt sind, hat das Büro als Ort, an dem Firmenkultur erlebbar ist und MitarbeiterInnen sich treffen, eine große Bedeutung. Zudem besteht hier die Möglichkeit, KollegInnen zu treffen, mit denen man sonst nicht zusammenarbeitet. Daher ist der nachvollziehbare Wunsch da, dieses Stück Normalität wieder erleben zu können. Die Situation kam natürlich auch völlig überraschend und war nicht planbar.
Bei der Einführung von Home-Office würde man vorher natürlich die Eignung der MitarbeiterInnen und ihre Wünsche in Bezug auf Home-Office besprechen. Nicht jeder kann oder möchte zu Hause arbeiten, nicht jeder Job ist dafür geeignet und manche MitarbeiterInnen haben auch persönlich nicht die nötige Reife dafür. Für diese Themen braucht es einen offenen Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeiter und klare Regelungen für das gesamte Unternehmen.
Aktuell wird dieser Schritt verständlicherweise übersprungen, um die Geschäftstätigkeit am Laufen zu halten. Das kann jedoch nur aufschiebende Wirkung haben. Bis es soweit ist, kommt insbesondere den Führungskräften eine tragende Rolle zu, damit Home-Office gut gelingen kann.

Haben Sie Tipps für Unternehmen und ArbeitnehmerInnen, wie das Home-Office gut funktioniert?

Neben zentralen Regelungen kann ein Weg sein, gemeinsam im Team – und im Einzelgespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter – Lösungen zu finden, die für alle Seiten tragbar und umsetzbar sind. Es braucht Klarheit, ein gemeinsames Verständnis von Erwartungen, eindeutige Regelungen und auch den Raum, um über Befürchtungen und Probleme zu sprechen. Die Hauptaufgabe kommt hier den Führungskräften zu, die insbesondere ihre Fürsorgepflicht nicht vernachlässigen dürfen. Nicht nur die Home-Office-Situation ist ungewohnt. Auch die gesellschaftliche und ökonomische Situation einer Pandemie stellt MitarbeiterInnen vor Probleme, mit denen nicht jeder umgehen kann. In Extremsituationen reagieren Menschen anders als im normalen Alltag. Um hier zu stabilisieren, braucht es das regelmäßige Gespräch mit der Führungskraft, gemeinsame Teamerlebnisse auch im virtuellen Raum und natürlich eine gute Krisenkommunikation seitens des Unternehmens.

 

Es gab vor einigen Jahren schon einen Trend zum Home-Office. Warum ist man davon eher wieder abgekommen?

Die Gründe sind vielfältig. Einen Hauptgrund habe ich schon beschrieben: Home-Office bedeutet auch eine kulturelle Anpassung von Arbeitsweisen, insbesondere in Bezug auf Führung und Zusammenarbeit im Unternehmen. Diesen kulturellen Wandel hat man sicherlich in vielen Unternehmen gescheut. Zukünftig wird jedoch schon aufgrund der geänderten Erwartungen von jüngeren MitarbeiterInnen kein Weg daran vorbeiführen, tragfähige und attraktive Lösungen anzubieten, um Top-Talente gewinnen und binden zu können.

Welche Erkenntnisse aus der aktuellen Situation können wir mitnehmen?

Home-Office funktioniert! Es funktioniert natürlich besser, wenn man vorher vorbereitet war, aber es funktioniert auch, wenn man jetzt die Aufholjagd startet und sich und sein Team mit dem richtigen Rüstzeug ausstattet, um in Bezug auf Arbeitsweisen und Methodik gut aufgestellt zu sein.
Für die Arbeit im virtuellen Raum gilt es insbesondere die richtige Methodik zu finden und sich digitaler Tools zu bedienen. Eine Videokonferenz ist hier erst der Anfang der Möglichkeiten.
Der Anteil von Home-Office und virtuellem Arbeiten wird nach der Krise deutlich höher sein als vorher, allein schon weil die teilweise deutlichen Einsparpotenziale durch Reisekosten und Reisezeiten jetzt sofort sichtbar werden.
Auch klar ist jedoch, dass der aktuelle Improvisationszustand nach der Krise sauber aufgearbeitet und der Wandel zu einem Arbeitsplatz der Zukunft eingeleitet werden muss.

Wie sieht der Arbeitsplatz und die Arbeitsweise der Zukunft aus?

Der Anteil virtueller Arbeitsweisen wird deutlich zunehmen und Unternehmen werden je nach Lebens- und Berufslebensphase der MitarbeiterInnen passende Lösungen für ortsunabhängiges Arbeiten anbieten müssen. Der Mensch sucht nach sozialen Beziehungen und insofern werden wir natürlich auch in Zukunft einen Mix aus Arbeit vor Ort und Home-Office beziehungsweise ortsunabhängigem Arbeiten haben. Idealerweise wird dies ein Mix sein, der persönliche, unternehmerische und ökologische Gesichtspunkte ausbalanciert.
Allerdings bedarf es dazu eines Dialogs über neue Arbeitsweisen im Unternehmen. Wenn wir jetzt einfach tradierte Arbeitsweisen 1:1 in einen virtuellen Kontext übertragen, wird dies nicht funktionieren. Und viel schlimmer: Wir verschenken eine Chance historischen Ausmaßes.

 

Über das Thema Home-Office spricht Josef Papousek auch in diesem TV-Beitrag der Reihe „Road to Digital Austria“. Praktische Informationen und Tipps für virtuelles Arbeiten steht zudem auf dieser Website für Sie zum Download bereit. 

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